Kunstlandschaft Deutschland im

19. Jahrhundert


von Ingobert Schmid

Überblick über die Kunstlandschaft Deutschland im 19. Jahrhundert


Während Paris kontinuierlich die Metropole des Kunstgeschehens in Frankreich geblieben ist, gab es in Deutschland mehrere Kunststädte, in denen sich Museen und Kunstakademien befunden haben und Ausstellungsräume verfügbar waren, wo dann - mehr oder weniger regelmäßig - Kunstausstellungen stattfinden konnten. Diese Konstellation hatte sich daraus ergeben, dass bis zur Reichsgründung 1870/1871 Deutschland in mehrere Königreiche, Herzogtümer und Freie Reichsstädte zersplittert war. Deren Landesherren waren der Kunst durchaus zugetan – sicherlich nicht ganz selbstlos – denn Kunstwerke sollten ihren Schlössern Pracht verleihen und zu ihrem eigenen Prestige beitragen. Nach Ihren Vorlieben gründeten sie Kunstschulen in ihren Residenzstädten, um meisterliche Künstler als Professoren anzulocken und junge Künstler heran zu bilden. Museen wurden eröffnet, um auch der Bevölkerung Teilhabe an der Kunst zu ermöglichten. Bei der Reichsgründung 1871 verblieb die Kulturhoheit dem jeweiligen Landesteil, wie das ja bis heute in der föderalistischen Bundesrepublik Deutschland noch der Fall ist.

Bedingt durch sehr verschiedenartige äußere Gegebenheiten, wie die einer städtischen oder einer ländlichen Umgebung, der Landschaftsform, der Vegetation, den Wetter- und Klimaverhältnissen, sowie auch der spezifischen Wesensart, Lebensweise und dem Brauchtum der (damals noch) bodenständigen Bevölkerung, hat sich die Malerei in den Regionen Deutschlands auf lokal eigenständigen Wegen entwickelt, nicht nur in Bezug auf das Sujet, d.h. des Gegenstands der Darstellung - das „Was“-, sondern vor allem in der künstlerischen Ausprägung, d.h. der maltechnischen Realisierung - das „Wie“.  

 

Um 1900 galten Berlin, Dresden, Düsseldorf, Hamburg, Karlsruhe, München, Stuttgart, Weimar als Kunststädte, dazu kamen jüngere Künstlerkolonien, u. a. Dachau und Worpswede (hier aufgeführt in alphabetischer Reihenfolge).

In ihrer Bedeutung waren diese Kunststätten unterschiedlich. Auch wechselte während des 19. Jahrhunderts die Rangfolge mehrmals.

Die in Deutschland jeweils Führende wird im heutigen Sprachgebrauch als „Kunsthauptstadt“ bezeichnet, ohne dass dafür eine rechtliche Legitimation vorliegt.    

Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hätte Dresden mit der dort aufblühenden Romantik (Caspar David Friedrich) die Bezeichnung als Kunsthauptstadt des (späteren) Deutschen Reichs verdient, doch diese Benennung war damals noch nicht gebräuchlich. Für die Zeit danach wäre Heidelberg zu nennen (Fohr, Rottmann, Ernst Fries). Aus heutiger Sicht käme hiernach Berlin mit dem anschließenden frühen Realismus (Blechen, Menzel) als nachfolgende Kunsthauptstadt in Betracht. Offiziell erhob jedoch Düsseldorf unter Hinweis auf die dort gepflegte spätromantische Historienmalerei (P.v.Cornelius) und die auflebende spätromantische Landschaftsmalerei  (J.W. Schirmer, A. und O. Achenbach) den Anspruch, ab etwa 1820 als Kunsthauptstadt zu gelten. Mit dem Abklingen der Bedeutung des in Düsseldorf (P.v.Cornelius) und gleichzeitig in München gepflegten Historismus (C.v.Piloty) bei zunehmender Beliebtheit und Bedeutung der Landschaftsmalerei im Freilicht, übernahm München um 1860 die Spitzenposition (J.G. von Dillis, Ed. Schleich, C. Morgenstern) und blieb bis zur Jahrhundertwende unangefochten die Kunsthauptstadt des (werdenden) Deutschen Reichs.

 

Ungeachtet des gewonnenen Renommees als Kunstmetropole und der Vorzüge, die München als Kunstzentrum geboten hat (anerkannte Akademie, berühmte Malerfürsten, namhafte,  aufgeschlossene junge Künstler, die Alte und die Neue Pinakothek als reichhaltige Museen, den Glaspalast als größtes Ausstellungsgebäude in Deutschland, erfolgreiche Internationale Kunstausstellungen, ein blühender Kunsthandel und internationaler Marktplatz für Kunst, künstlerische Atmosphäre, ein malerisches Stadtbild, landschaftlich reizvolle Umgebung) und einer in bestimmten Kreisen vorzufindenden Aufgeschlossenheit für den avantgardistischen Wandel der Kunstauffassung, der in München eingeleitet worden war, brachten es die Umstände mit sich, dass um die Jahrhundertwende München den Status als Kunsthauptstadt der Reichshauptstadt Berlin überlassen musste.


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Die Kunsthauptstadt München -  

Situation und Vorgänge Ende des 19. Jahrhunderts


Im 19. Jahrhundert strömten aus ganz Deutschland Künstler in die Kunsthauptstadt München. Die in der Stadt durch Kunst und Künstler verbreitete Atmosphäre, gaben dem gesellschaftlichen Leben Schwung und Lebensfreude. Große Bedeutung hatten dabei die Künstlervereinigungen, z.T. kleine Künstlergruppen, wie z. B. die „Kassandra“ oder die „Allodria“, vor allem aber die große Münchener Künstlergenossenschaft.

Die Künstlergenossenschaft kümmerte sich neben der Organisation von gesellschaftlichen Veranstaltungen (u. a. Künstlerfeste) um allgemeine soziale, rechtliche und berufsbezogene Belange der Künstler (Versicherungen, Altersversorgung) und ihr oblag die Organisation der großen Kunstausstellungen. 

So war die Münchener Künstler-Genossenschaft mit der Organisation der Jahresausstellungen sowie der Großen Internationalen Kunstausstellungen beauftragt. Neben ihr hatte die  Münchener „Akademie“, der behördliche Funktionen übertragen waren, Einfluss auf das kulturpolitische Geschehen. Ihre Mitglieder standen in hohem Ansehen und genossen den Respekt der Bevölkerung.

Die Einstellung zur Kunst war von Seiten der Genossenschaft sowie der Akademie dem Historismus und der Genremalerei zugewandt. 

Bekanntlich war auch die Einstellung seiner Königlichen Hoheit von Bayern - gleichwie die des Deutschen Kaisers Wilhelm II - in den Angelegenheiten der Kunst konservativ. Er betrachtete die modernen Bestrebungen der Jüngeren mit deren naturalistischen Zielvorstellungen mit Skepsis. Seine Gedanken verbohrten sich – vielleicht auch aus Loyalität und Respekt vor dem Deutschen Kaiser – in phantasievolle Ideen einer ausgeprägt „Deutschen Kunst“  auf den gebahnten  Spuren der deutschen  Malerei. Die in Frankreich  weiter fortgeschrittene Entwicklung, vor allem die impressionistische Strömung, wurde mit kritischen Augen gesehen. Diese Ansicht der Obrigkeit  entsprach den Interessen der großen Mehrheit in der Münchener Künstlergenossenschaft. Willkommen war dort die Auffassung, dass unabhängig von der künstlerischen Leistung das Prinzip „gleiche Rechte für alle“ gelte, insbesondere und vor allem bei den Kunstausstellungen.

Die Maxime „gleiches Recht für Alle“ führte dazu, dass die weit überwiegende Mehrheit der Mitglieder, die unter den Gesichtspunkten der Kunst als durchschnittlich anzusehen war, über die Minderheit der herausragenden Künstler bestimmte. Abgestimmt wurde u. a. über die Zusammensetzung der Aufnahme-Jury, der Hänge-Jury, des Preisgerichts, die Raumverteilung.

 

Die Ausstellungen uferten zu Massenveranstaltungen mit 1500 bis zu 4000 Exponaten aus, mit enger Hängung und kunterbunter Anordnung der Bilder - „wie in einer Gemischtwarenhandlung“ – die die Aufnahmefähigkeit der Besucher überforderten und eher als physische und psychische Belastung empfunden wurden, denn als Gelegenheit zu einer Wissensbereicherung oder eines Kunstgenusses.

Die anteilig vertretene, herausragende Avantgarde, der vielleicht ein Anteil von  5 % bis 10 %  zukam, ist im Sumpf des Mittelmäßigen untergegangen.

Jeder hatte das Recht, Kunstwerke einzureichen. Sofern absolute Kompetenz und Neutralität der Aufnahme-Jury vorgelegen hätte, wäre auch deren Recht zu der Entscheidung, ein Werk aufzunehmen oder abzulehnen, grundsätzlich akzeptiert worden. Jedoch brachte die personelle Zusammensetzung der von „Allen“ gewählten Jury oft Probleme. Der Prozentsatz der zurück gewiesenen Werke der modernen Art war hoch, die Gründe hierfür oft von kulturpolitischem  Vorurteil bestimmt.

Die zugegebenermaßen schwierige Wertung der  künstlerischen Qualität erforderte Erfahrung und Kunstverstand, visionäre Einsicht in avantgardistische Perspektiven sowie feinsinnige Sensibilität für das Künstlerische, die nicht immer vorhanden waren. Oft wurde leichtfertig auf den persönlichen Geschmack verwiesen. So konnte das Urteil der Jury oft nicht den wahren Künstlern gerecht werden.

 

Diese Auffassung "gleiches Recht für Alle" stand somit der Exzellenz im Wege, auf die es bei der Kunst vorrangig ankommen sollte, und wirkte hemmend auf jegliche avantgardistische Weiterentwicklung.

 

Unter den Künstlern war die Kunstauffassung zwiespältig. Einige hingen der Königlichen Obrigkeit an und huldigten dem Historismus, andere bevorzugten die traditionelle Genremalerei, die im Volk sehr beliebt war und sich gut verkaufen ließ. In zunehmender Zahl machten sich junge, fortschrittliche Künstler bemerkbar, die sich der Freilichtmalerei „nach der Natur“, zugewandt hatten. Hierzu hatten die frühzeitigen Kontakte zu Barbizon und seinen Künstlern schon anlässlich der Weltausstellungen, zuletzt nochmals die im Jahr 1869 in München, Anstoß gegeben.

Hier fanden die Fortschrittlichen mit impressionistischen Bestrebungen ihren Anknüpfungspunkt, Licht in die Bilder zu bringen, und die Phänomene des Zusammenspiels von Licht und Luft mit Einfluss auf die farbige Erscheinung der Natur zu erfassen, und die damit erzeugte Naturstimmung malerisch einzufangen.

Doch auf der offiziellen Kunstbühne dominierte noch immer die Tradition.

 

Der in München verfügbare Ausstellungsraum im Glaspalast war äußerst üppig - bei Engpässen stand noch zusätzlich der Königliche Kunstpalast am Königsplatz  zur Verfügung,  - so dass von daher gesehen, eine große Zahl von Exponaten untergebracht werden konnte, zumal damals bei großen Ausstellungen eine dichte Hängung à la „St. Petersburger Hängung“[1] durchaus üblich gewesen ist. Die Zuteilung der Wandflächen zur Präsentation der Bilder erfolgte auf die einzelnen Künstlervereinigungen und richtete sich nach deren jeweiliger Mitgliederzahl.

Da die vielfach kleinformatigen Bilder leicht übersehen werden konnten, malten die Künstler statt derer riesige Gemälde. Eine neue Gemälde-Kategorie ist hierfür kreiert worden: „Das  Ausstellungsbild!“. Dieses konnte nur im Atelier entstehen. Diese „großen Schinken“ sollten ihrer Größe wegen „Knüller“ sein und Aufsehen erregen. Meist ohne Erfolg! Denn diese „Dinosaurier“ standen den im Freien gemalten und frischer wirkenden Kreationen hinten an. Im Atelier sind leider viele Maler in ihre konventionelle Maltechnik zurückverfallen, so dass von ihrer im Freilicht (möglicherweise) erlangten Farbenfrische und Spontanität des Pinsel-Duktus nichts mehr vorhanden war. Dieser Mangel traf oft auch bei herausragenden Künstlern zu.

Auf diese Weise konnte das Niveau der deutschen Kunst auf internationaler Ebene nicht mithalten.

 

Dass die Franzosen den Deutschen deutlich voraus waren, hatte sich inzwischen herumgesprochen. Bei der Internationalen Kunstaustellung 1869 im Glaspalast waren die Maler von Barbizon zahlreich vertreten: Werke von Th. Rousseau, J.F. Millet, J. Dupré (jeweils eine Arbeit), Ch. Fr. Daubigny (2 Werke), A. Decamps und H.d`Harpingnies (je 3), C. Corot und  C. Troyon (je 4 Werke) sowie N. Diaz (5 Bilder) waren zu sehen. Von E. Manet waren 2 und von C. Courbet 7 Gemälde ausgestellt.

Es muss eine hohe Ehre für die Münchener Landschafter Ed. Schleich, A. Lier, C. Spitzweg sowie für die damals jungen Maler W. Leibl, Th. Alt und Victor Müller gewesen sein, dass ihre Werke mit denen der großen Franzosen in Vergleich gesetzt wurden. Das Publikum zeigte sich davon beeindruckt, wohl aber ohne die höhere Bedeutung der Kunst der Franzosen wirklich zu erkennen. Deren neuartige Qualitäten konnte das deutsche Publikum damals noch nicht beurteilen.

Die Reaktion in Deutschland war denn auch zwiespältig: Jedenfalls kamen unter den deutschen Künstlern neben der Bewunderung auch Bedenken auf, die Franzosen würden mit ihrem Vorsprung in den deutschen Markt eindringen, und hier, wie auch auf dem Weltmarkt, den deutschen Künstlern Konkurrenz machen. Aus solchen Ängsten heraus wurden aus der Bevölkerung Stimmen laut, dass man doch die Ausländer nicht noch durch Einladung zu deutschen Ausstellungen fördern solle. Der Kommerz hat für viele mehr gegolten als die Kunst.


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[1] Die sogenannte Petersburger Hängung bezeichnet eine besonders enge Reihung von Gemälden. Häufig reichen diese bis an die Decke, die Rahmen der Werke hängen dicht beieinander. Die Bezeichnung geht auf die üppig behängten Wände der Sankt Petersburger Eremitage zurück.


Die Spaltung der Münchener Künstler-Genossenschaft


Die Münchener Kunstszene, damals von der traditionsgebundenen Kunstauffassung des Historismus bestimmt, vertreten durch den Malerfürsten Franz Lenbach, stand der neuen Kunst des sich zum Impressionismus hin entwickelnden Naturalismus ablehnend entgegen. Nach heftigen Debatten konnte zwischen Fortschrittlichen und Traditionalisten keine Einigkeit erreicht werden.

Die fortschrittlichen Künstler sahen vor allem die misslichen Zustände bei den Ausstellungen für unerträglich an. Um 1890 wurde ihr Protest immer lauter. Das niedrige künstlerische Niveau der Ausstellungen, in das sie sich bei einer Beteiligung hinein begeben sollten, war für sie untragbar. Sich dem Urteil einer nicht kompetenten Aufnahmekommission unterwerfen zu müssen, deren Urteil sie für ungenügend qualifiziert hielten, sich zu beugen, und gar noch eine ungerechtfertigte Ablehnung ihrer Werke hinnehmen zu müssen, empfanden sie als Diskriminierung. Ihre Gemälde neben den vielfach schwachen Werken von Mit-Ausstellern aufgehängt zu sehen, deren Bilder nach künstlerischen Maßstäben einer Zulassung nicht würdig waren, empfanden sie als unerträglich. 

Um das Vorgehen gegen die leidigen Zustände zu erörtern, trat eine Gruppe der betroffenen Fortschrittlichen, bestehend aus elf Künstlern (u. a. Fritz von Uhde, Hugo von Habermann, Franz von Stuck, Heinrich von Zügel, Gotthard Kuehl, Leopold von Kalckreuth, Ludwig Dill) am 29. Februar 1892 zusammen. Dem bei diesem Treffen abgefassten Aufruf an die Münchener Künstlerschaft, folgten über 100 Künstler (der insgesamt rund 1000 Mitglieder) der Münchener Künstler Genossenschaft der Einladung zu einer Versammlung am 4. April 1892. Dort wurde entschieden, kleine eigenständige Vereinigungen zu gründen, woraufhin 96 Künstler aus der Münchener Künstler-Genossenschaft schon vorsorglich ausgetreten sind. Damit war der Spaltungsprozess der Avantgardisten von den Traditionalisten eingeleitet.


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Gründung der Münchener Sezession


Der Weg war also frei für die Gründung der Münchener Sezession als unabhängige Künstlervereinigung. So vereinigte sich die Mehrzahl der „Abtrünnigen“ in der am 04. April 1892 gegründeten „Münchener Sezession“. Eine weitere, wesentlich kleinere Gruppe bildete 1894 die Künstlergemeinschaft „Die Scholle“. Zwei Jahre danach hat sich noch eine Gruppe,  die „Luitpold – Gruppe“ (benannt nach dem Prinzregenten) von der Münchener Künstlergenossenschaft losgelöst.

Am 17. Juni 1892 konnten die Statuten der Münchener Sezession, ein 107 Mitglieder umfassendes Verzeichnis und ein schriftliches Memorandum mit Darlegung des Programms und der Ziele vorgelegt werden. Am 14. Oktober 1892 wurde die Vereinigung offiziell in die Stadtregister eingetragen unter dem Namen „Verein Bildender Künstler Münchens e.V. Sezession“.   

 

Bruno Piglheim wurde zum Präsidenten der Sezession gewählt, Hugo von Habermann zu dessen Stellvertreter. Vorstandsmitglieder wurden Bernhard Buttersack, Ludwig Dill, Ludwig Herterich, Albert von Keller, Paul Wilhelm Keller-Reutlingen, Gotthard Kuehl, Arthur Langhammer, Franz von Stuck, Fritz von Uhde, Viktor Weishaupt und Heinrich von Zügel.[1] Weitere Gründungsmitglieder waren unter anderen Lovis Corinth, Otto Heinrich Engel, Philipp Franck, Ulrich Hübner, Adolf Hölzel, Walter Leistikow, Reinhold Lepsius, Max Liebermann, Emil Orlik, Franz Skarbina, Max Slevogt  und Lesser Ury. Als erster Präsident wurde Bruno Piglhein und als erster Schriftführer Paul Hoecker gewählt.

 

Ausländische Künstler wurden als Mitglieder der Münchener Sezession  (wie auch bei der Münchener Künstlergenossenschaft) vorerst nicht aufgenommen – abgesehen von wenigen Ausnahmen aus der Schweiz und Österreich.

Doppelmitgliedschaften waren zulässig. U. a. engagierten sich die Berliner Max Liebermann und Walter Leistikow, die der kurz zuvor am 05. Februar 1892 in Berlin gegründeten "Vereinigung der XI“ angehörten, auch als Gründungsmitglieder der Münchener Sezession. 

Das Resultat war ein Freigabesignal für den Impressionismus in Deutschland.

 

(Ähnliche Abspaltungen wie die von der Münchener Künstler-Genossenschaft   haben sich auch in anderen Kunststädten abgespielt, so z. B. in Berlin 1898,  in Dresden 1905. Die Gründung der Münchener Sezession galt als Musterfall für anderenorts in Deutschland überfällige sezessionistische Abspaltungen.)  


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[1] Jochen Meister et. al.: Münchener Sezession – Geschichte und Gegenwart, Prestel Verlag 2007

Situation und Vorgänge in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts


Mit der Reichsgründung 1871 gehörten zum Deutschen Reich vier vormalige Königreiche, sechs Großherzogtümer, fünf Herzogtümer, sieben Fürstentümer und drei Freie und Hanse-Städte. Jeder dieser „Staaten“ hatte zuvor eine autonome Regierung, der auch die Belange der Kultur und Kunst oblagen. Die unterschiedlichen Interessen unter einen Hut zu bringen, war eine äußerst komplexe Aufgabe, und deren Bewältigung eine bewundernswerte politisch-organisatorische Leistung.

Der Zusammenschluss zum Deutschen Reich mit Berlin als Deutschlands Reichshauptstadt  bedeutete einen tiefgreifenden Umbruch der Regierung und der Staatsverwaltung. Die Bündnisstaaten mussten Einschränkungen ihrer Regierungskompetenzen hinnehmen und zulassen, dass der deutsche Staat ihnen gewisse Rechte entzieht. Das Ressort der Kultur wurde bei der jeweiligen Landesregierung belassen, allerdings unter gewissen Einschränkungen.

Ein solcher Umbruch war nicht von heute auf morgen zu bewältigen. Schon im Vorfeld war jahrelang darauf hin gearbeitet worden, und danach war das Deutsche Reich auch weiterhin noch jahrelang in stetigem Wandel begriffen.

Durch die Bestimmung Berlins zur Reichshauptstadt galt es, dort neben den angedeuteten Erfordernissen der Politik und Verwaltung, vor allem den baulichen Erfordernissen einer Reichshauptstadt nachzukommen. Das Kunstgeschehen, welches gegenüber München weit zurückgeblieben war, musste vorerst noch im Hintergrund bleiben. Allerdings erhob die Reichshauptstadt Berlin, nachdem dort um die Jahrhundertwende das kulturelle Niveau auf die erste Stelle in Deutschland vorgerückt  war, auch den Anspruch, deutsche Kunsthauptstadt zu sein.

In Berlin war bereits 1841 der Berliner Künstler Verein als Vertretung der Interessen der Künstlerschaft gegründet worden.[1] Dieser Verein war die Berliner Komponente, die sich 1856 mit der (Allgemeinen) Deutschen Künstlergenossenschaft zusammengetan hat, deren Zweck die Wahrung und Förderung der gemeinsamen Interessen der Künstler in Deutschland war. Der hieraus entstandene Verein Berliner Künstler war für Berlin also etwa das, was die Münchener Künstlergenossenschaft für München war.

Neben den gelegentlichen Treffen der Vereinsmitglieder am Stammtisch pflegte der Verein das gesellige Leben, gestaltete Festveranstaltungen und stärkte das Gefühl der Zusammengehörigkeit seiner Mitglieder. Eine sehr wichtige Funktion bestand in der Organisation von Ausstellungen, wo den Künstlern die Möglichkeit zum Verkauf ihrer Bilder geboten wurde. Der Verein räumte bei den Ausstellungen jedem Mitglied gleiche Rechte ein. Unbeschadet dessen oblag es einer Jury, über die Aufnahme der eingereichten Exponate zu entscheiden. Des Weiteren sorgte der Verein für  die materielle Sicherheit seiner Mitglieder durch Einrichtung von Versicherungskassen und vertrat deren Interessen in sonstigen sozialen und künstlerischen Angelegenheiten, so, wie dies in München durch die Münchener Künstlergenossenschaft  (gegr. 1861) erfolgt ist.

 

Im Verein Berliner Künstler hatte der Historienmaler Anton von Werner (1843 – 1915) das Amt des Ersten Vorsitzenden bzw. des  Präsidenten inne.[2] 

Zeitgleich war er ab 1874 Mitglied und langzeitig Direktor der „Königlich  Preußische(n) Akademie der Künste zu Berlin“. Er wurde beratend für Ankäufe der Berliner Museen herangezogen und war bei Bauvorhaben und Denkmalschutz mit maßgebend.

Bei der für das Berliner Kunstgeschehen einflussreichen Akademie war er zuständig für die Ausrichtung der jährlichen Kunstaustellungen, für zu verleihende Auszeichnungen sowie Gewährung von staatlichen Zuschüssen zu Kunstausstellungen.                                           

Aufgrund seiner Ämter war Anton von Werner nicht nur in Berlin der allmächtige „Kunstpapst“, sondern in gewisser Weise im ganzen Deutschen Reich, zumal er das Vertrauen des Deutschen Kaisers Wilhelm II genossen hat. Von Werner hatte entscheidenden Einfluss auf des Kaisers Kulturpolitik, wie auch umgekehrt Wilhelm II, der bekanntermaßen die modernen Kunstströmungen, insbesondere den Impressionismus strickt ablehnte, von Werner in festem Griff hatte. Von Werners Abhängigkeit war vermutlich einer der Gründe, weshalb er sich veranlasst sah, mit konservativer Kunstauffassung und strenger Ablehnung der fortschrittlichen Strömungen die Gunst des Kaisers sich zu bewahren.

Nicht bei allen war von Werner beliebt: In der Künstlerschaft stieß er gegen die Ansichten der Fortschrittlichen. Die Vorstellung des Deutschen Kaisers von einer „Deutschen Kunst“ erschien vielen als abwegig und schädlich. Der Ausschluss von Ausländern als Mitglieder deutscher Künstlervereinigungen war wohl in seinem Sinne, wurde aber nicht von allen Vereinen befolgt. Auch ging das Ansinnen, weibliche Kunststudenten an der Akademie abzulehnen, auf Kaiser Wilhelm II. zurück.

 

Fast gleichzeitig mit den Vorgängen zur Sezessionsgründung in München begann Ähnliches sich in Berlin abzuspielen. Schon zu Beginn der 90-er Jahre zeigten sich in der Reichshauptstadt die gleichen Missverhältnisse im Ausstellungswesen und Differenzen im Kunstverständnis wie in München. Allerdings waren hier die kunstpolitischen Gegebenheiten noch komplizierter als in München. Dies lag insbesondere daran, dass in Berlin mehrere Instanzen in das Kunstgeschehen involviert waren, und nicht Vernunft und Verständnis sondern Macht das Geschehen lenkte.

Die Strittigkeiten fortschrittlicher Künstler mit der Königlich-Preußischen Akademie und mit dem Verein Berliner Künstler, eskalierten zunehmend. Offenkundig war dies in Berlin bereits 1892 geworden, damals zunächst auf kleiner Flamme, als die „Vereinigung der XI“ sich vom Verein Berliner Künstler distanziert hatte, um in eigenen Ausstellungen frei von den Schranken des Vereins Berliner Künstler die Exponate selbst bestimmen und die Hängung der Bilder nach Wunsch der Künstler vornehmen zu können.[3]

Auch der aus Berlin stammenden Künstler Max Liebermann schloss sich als Gründungsmitglied der "Vereinigung der XI" an. Intensiv beteiligte er sich an den Bestrebungen das Berliner Kunstgeschehen zu revolutionieren. Er versuchte, eine Kompromisslösung in der Art wie in München zu erreichen und setzte sich dafür ein, im Rahmen der jährlich stattfindenden großen Ausstellungen des Vereins Berliner Künstler separate Ausstellungsräume für die sezessionistische Künstlergruppe zu erhalten, des Weiteren das Recht, eine eigene Aufnahme-Jury zu wählen, und die Hängung der Bilder nach Wunsch der Künstler vorzunehmen.

Es galt nunmehr in Berlin – wie in München teilweise inzwischen erreicht – die Kunstauffassung auf fortschrittliche Ziele umzustimmen und das Ausstellungswesen zu reformieren. Dass dies in Berlin noch komplizierter werden würde als in München, hatte Liebermann wohl kaum geglaubt.

Die Schwierigkeiten lagen im Besonderen am Deutschen Kaiser Wilhelm II und Anton von Werner. Mit Anton von Werner hatte Liebermann einen unangenehmen, nicht immer loyalen Gegenspieler. Die hartnäckige Haltung von Anton von Werner erschwerte die Verhandlungen und führte zu mancherlei Konflikten.

 

In Abstimmung mit den Mitgliedern der "Vereinigung der XI", insbesondere mit der tatkräftigen Unterstützung von Walter Leistikow, sahen Liebermann und seine Mitstreiter keine Chance mehr für den von ihnen vorgeschlagenen Kompromiss. Nachdem ihre Forderungen nicht akzeptiert wurden, gab es keine andere Möglichkeit als die Abtrennung vom Verein Berliner Künstler.


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[1] Siehe dazu: https://de.wikipedia.org/wiki/Verein_Berliner_K%C3%BCnstler1867 (aufgerufen am 12.6.2020). 1867 wurden dem VBK die Korporationsrechte verliehen. Damit war er, obwohl einst eine rein private Gründung, eingebunden in das institutionelle System der Monarchie und abhängig von Entscheidungen des Preußischen Kultusministeriums.

[2] Von Werner bekleidete das Amt des jährlich neu zu wählenden Vorsitzenden bis 1895 und hatte es von 1899 bis 1901 und nochmals von 1906 bis 1907 inne.

[3] Siehe: Anna Grosskopf, Tobias Hoffmann, Sabine Meister (Hg.), Skandal! Mythos! Moderne! Die Vereinigung der XI in Berlin. Ausst.-Kat. Berlin (Bröhan Museum) 2019.


Gründung der Berliner Secession


Mit der Gründung der Berliner Secession 1898 ging die Vereinigung der „XI“ in der Secession auf. Max Liebermann wurde zum Präsidenten gewählt. Neben ihm gehörten Oskar Frenzel, Walter Leistikow, Otto Heinrich Engel, Curt Herrmann und Franz Skarbina dem Vorstand an; Bruno und Paul Cassierer wurden Sekretäre. Zu Ehrenmitgliedern wurden Arnold Böcklin, Adolf Hildebrand und Wilhelm Leibl gewählt. Der Vorstand amtierte zugleich als Leitung der Kunstausstellungen, ebenso behielt sich der Vorstand die Funktion der Jury vor.

Die 64 Gründungsmitglieder wurden als „Ordentliche Mitglieder“ eingetragen. Die Mitglieder waren alle nahe Berlin ansässig mit Ausnahme des Malers Max Arthur Stremel aus Dresden und der Künstler aus Worpswede, Hans am Ende, Fritz Overbeck, Fritz Mackensen, Otto Modersohn und Heinrich Vogeler, für die eine besondere Regelung der Aufnahme schon vor der Vereinsgründung getroffen worden war, und die - gleich wie die in Berlin wohnhaften Künstler - als „Ordentliche Mitglieder“ aufgenommen worden sind.

Zu den in Berlin beheimateten Künstlern, gehörten Hans Baluschek, Martin Brandenburg, Oskar Frenzel, August Gaul, Karl Hagemeister, Curt Herrmann, Dora Hitz, Carl Langhammer, Sabine Lepsius, Hans Loosen, George Mosson, Max Schilling und Max Uth u. a., alle reine Berliner.

Unter den ursprünglich in München verankerten Künstlern, die jetzt in Berlin wohnten, befanden sich Otto Heinrich Engel, Philipp Franck, Ludwig von Hoffmann, Ulrich Hübner, Franz Skarbina und Lesser Ury. Diese hatten zwar ihren offiziellen Wohnsitz in Berlin, hielten sich aber zeitweilig in München auf und waren dort Mitglied der Münchner Sezession. Sie wurden jetzt zusätzlich „Ordentliches Mitglied“ der Berliner Secession. Dass damit ihre Orientierung von München nach Berlin schwenkte, hat München schmerzlich getroffen. Für München war mit ihnen ein Großteil der bisherigen Münchener „Elite“ so gut wie verloren, obgleich die meisten von ihnen ihre Mitgliedschaft in der Münchener Sezession beibehielten.

Für die Berliner Secession war dies ein erfolgreicher Start und für Berlin ein bedeutender Schub, die Führung als deutsche Kunsthauptstadt zu erlangen.


Weitere Informationen über die Mitglieder-Struktur der Berliner Secession


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Gründung des Deutschen Künstlerbunds 1903


Die Abspaltung der sezessionistischen Gruppen hatten allerorts ähnliche Ursachen. Die Polarisierung der Künstlervereinigungen in Deutschland in das Lager der Künstlergenossenschaften einerseits und das der Sezessionen andererseits, trübte die Atmosphäre in der Künstlerschaft und belastete die persönlichen Beziehungen unter den Malerkollegen. Das Festhalten an der Historie in Deutschland hemmte und schadete der Fortentwicklung und dem Image der deutschen Kunst im Ausland.

Das allseitig erzeugte Unbehagen und der Ärger wurden geschürt durch die als Bevormundung empfundenen Eingriffe des Staates in das Kunstgeschehen vor dem Hintergrund der konservativen Einstellung des deutschen Kaisers. Überall lagen ganz ähnliche Probleme vor.

Die Gründung einer Künstlervereinigung, die die gemeinsamen Interessen der Sezessionen vertritt, war bereits 1892 von Hans Rosenhagen angeregt worden[1] und war nun längst fällig geworden.

 

Mit dem „Deutschen Künstlerbund“ kam es 1903  offiziell  zum ersten überregionalen Künstlerverein. Die inoffizielle Vorarbeit der Berliner Secession hinsichtlich der Vernetzung der regionalen Sezessionen durch die "correspondierenden Mitglieder" fand im Deutschen Künstlerbund ihre offizielle Fortsetzung.

Bei der Gründungsversammlung am 15./16.12.1903, die in Weimar stattfand, waren die Künstlervereinigungen u. a. aus Berlin, Düsseldorf, München, Stuttgart, Karlsruhe, Weimar, Hamburg, Bremen durch prominente Vertreter präsent. Auch Alfred Lichtwark, Direktor der Hamburger Kunsthalle, gehörte zu den Gründungsmitgliedern. Von nun an übernahm der Deutsche Künstlerbund die Vertretung aller Sezessionen hinsichtlich der Sicherstellung der freien Entfaltung der künstlerischen Bestrebungen unabhängig von staatlichen Maßregelungen. Wie wichtig eine solche gemeinsame Institution war, wurde schon in der Gründungsversammlung deutlich. Hier musste entschieden werden, ob sich die Sezessionen an der Weltausstellung in St. Louis 1904 beteiligen und damit die von der Regierung vorgegebenen Bedingungen akzeptieren. (siehe auch Das Fiasko von St. Louis – Weltaustellung 1904)


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[1] Hans Rosenhagen: „Zur Lage“, Z. Atelier 49, 10.11.1892.


Krise und Spaltung (alten) Berliner Secession 1913


Die Malerei als freie Kunst aufzufassen, „für jedes Talent einzutreten, in welcher Richtung es sich auch äußern möge“, war der oft betonte Grundsatz, dem sich die Berliner Secession verpflichtet fühlte. Energisch wurde die irreführende Deutung zurück gewiesen, die Gründer seien auf irgendeine Richtung der Kunst eingeschworen.[1] Diesem Grundsatz getreu wurden junge, avantgardistische Künstler wie Max Beckmann, Christian Rohlfs, Max Pechstein, Wassiliy Kandinski, Alexej Jawlensky als Mitglieder in die Berliner Secession aufgenommen. 1908 war auch Emil Nolde Mitglied geworden.

Allmählich scheint es den „Alten“ dann doch zu „bunt“ geworden zu sein. Der von Liebermann geführte Vereinsvorstand hatte 27 expressionistische Werke zurückgewiesen, die zur Kunstausstellung 1910 eingereicht worden waren. Liebermann befand sich damit plötzlich in einem gegen die avantgardistischen Strebungen gerichteten Lager, nachdem er zehn Jahre lang er allgemeine künstlerische Freiheit der Stilauffassung propagiert hatte.

Allerdings hatte sich zwischenzeitlich in der Kunst viel geändert, auch in der Secession. Vormals, als 1892 der Munch-Skandal sich ereignet hatte, hatten Liebermann und seine Gefolgsleute die Moderne vehement verteidigt. Als 1901 zum ersten Mal Bilder von Vincent van Gogh in die Ausstellung der Berliner Secession aufgenommen wurden, waren keinerlei Einwendungen dagegen laut geworden. In selbigem Jahr wurde Christian Rohlfs die Tür zur Secession geöffnet, der – auf dem Wege zur Moderne – allerdings noch in seiner impressionistischen Phase steckte. 1902 bekam man bei der Berliner Secession nochmals Edvard Munch zu sehen. 1903 sah man Bilder von Paul Gauguin, Max Beckmann und Emil Nolde, die als Gäste willkommen waren. In den Jahren darauf waren Alexeij Jawlenski und Heinrich Nauen (1906), Arthur Segal (1907), Ker-Xavier Roussel und Henri Matisse (1908) bei der Berliner Secession ausgestellt.

Dass nach dieser Offenheit in den Vorjahren nun 27 für die Ausstellung 1910 eingereichte, expressionistische Gemälde refüssiert wurden, hätte niemand gedacht.

Emil Nolde, der erst 1908 Mitglied der Berliner Secession geworden war,  erlaubte es sich, in einem an den Kunsthistoriker Karl Scheffler gerichteten Schreiben vom 10.12.1910 Max Liebermann in unangemessener Weise anzugreifen, ihn der Fortschrittsfeidlichkeit zu bezichtigen und ihm überspitztes diktatorisches Verhalten vorzuwerfen. Dieses der Generalversammlung vorgelegte Schriftstück sorgte für Empörung. Mit 40 zu 2 Stimmen wurde der Beschluss gefasst, Emil Nolde aus der Secession auszuschließen. Zwei Stimmen haben dem nicht zugestimmt. Eine davon war die von Max Liebermann. Er ist in der Sitzung aufgestanden und hat erklärt: „… Ich bin absolut gegen die Entscheidung …“ und bezog sich auf den bislang propagierten Grundsatz der Freiheit der Kunst und der Meinungsfreiheit.

Liebermann trat am 16. November 1910 als Präsident der Berliner Secession zurück ohne im geringsten Maße das Vorangegangene sich anmerken zu lassen. Seine Motivation war, die Berliner Secession sei nun in sich so weit gefestigt, dass auch andere zum guten Gedeihen das Werk weiter führen können. Dieses Jahr ist eines der entscheidensten für die Entwicklungsgeschichte der Secession geworden. Dazu heißt es weiter im Vorwort des Katalogs zur Kunstausstellung der Berliner Secession 1911: „In der Tat haben die Gründer der Vereinigung Liebermann, Leistikow und Paul Cassirer den Bau während der langen Zeit, wo sie zusammen arbeiteten, so gut gefügt und in den einzelnen Teilen so sicher verankert, dass die Secession äußeren Stürmen und inneren Wirren gleichmäßig Trotz bieten und ihrer Bestimmung, Kulturfaktor Berlins zu sein, ungehindert weiter nachgehen könne …“.[2]

Die Prognose einer ungehinderten Fortführung war eine wohlgemeinte Utopie? Wie sich kurz danach zeigen sollte: Im Januar 1911 trat Max Liebermann als 1. Vorstand zurück, verblieb aber als „Ehrenpräsident“ weiterhin Mitglied im Vorstand. An seiner Stelle wurde Corinth zum 1. Vorsitzenden der Berliner Secession gewählt. Aus gesundheitlichen Gründen hat Corinth dieses Amt nach  kurzer Zeit abgegeben. Im Dezember 1912 wurde er von Paul Cassirer abgelöst.

Paul Cassirer beabsichtigte organisatorische Erneuerungen einzuführen und die Ausstellungen auf die Moderne auszurichten. Während die vorangegangene Ausstellung 1912 einen eher lokalen  Charakter aufwies, indem sie neben wenigen internationalen Künstlern (Van Gogh, Picasso und Henri Rousseau) überwiegend Werke von Mitgliedern der Berliner Secession enthielt, war die Ausstellung 1913, die Cassirer organisiert hat, gespickt voller großartiger Werke von Pierre Bonnard, Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Ferdinand Hodler, Albert Marquet, Henri Matisse, Auguste Renoir, George Seurat, Henri Toulouse-Lautrec und Maurice Vlaminck. Trotz starker Beteiligung auch von deutscher Seite mit Künstlern der Avantgarde, u. a. mit Max Beckmann, Adolf Erbeslöh, Erich Heckel, Otto Müller, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff, wohl dafür gedacht, die rebellische Jugend zu beruhigen, resultierten daraus weitergehende Streitigkeiten um die Zukunft, die letztlich zu einer Spaltung der Berliner Secession  führten. Ursächlich waren wiederum Zurückweisungen von Bildern der Secessionsmitglieder Eugen Spiro, Hermann Struck, Emil Pottner, Charlotte Behrend,  Sabine Lepsius, u. a. Ein weiterer Teil der Künstler hatten sich an den Interessenkonflikten gestoßen, in welche – nach ihrer Auffassung -  Paul Cassirer als Vorstandsvorsitzender der Berliner Secession und Kunsthändler verwickelt gewesen sei. Aufgrund der Anschuldigungen gegen ihn wurde verlangt, dass er als Präsident und Vorstandsmitglied zurücktreten solle, und sein Austritt gefordert. Nachdem es selbst Liebermann als Ehrenpräsident nicht gelungen ist, die Wogen zu glätten, und er, Slevogt und eine größere Zahl Gleichgesinnter den Sitzungsaal verließen, war die Spaltung der Berliner Secession unausweichlich.

Die ausgetretenen Künstler gründeten im Februar 1914 die „Freie Secession“, denen das Secessionshaus am Kurfürstendamm verblieb. Die Restlichen behielten den Namen „Berliner Secession“, mussten sich aber nach einer anderen Lokalität umsehen. Die Berliner Secession existierte noch bis zur Auflösung im Dritten Reich. Der Austritt der auswärtigen Mitglieder, die „Außerordentliche Mitglieder“ gewesen waren, bedeutete, dass die durch deren Doppelmitgliedschaft entstandene Vernetzung der deutschen Kunstlandschaft weitgehend unwirksam wurde.


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[1] Vorwort Kataloge zur ersten und zur zweiten Kunstausstellung der Berliner Secession 1899 und 1900, Kataloge der Kunstausstellungen der Berliner Secession 1899 und 1900.

[2] Vorwort Katalog zur zwölften Kunstausstellung der Berliner Secession 1911, Katalog der Kunstausstellung der Berliner Secession 1911.


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Redaktion K. Nikolaus